Ein Schritt vor, zwei zur Seite, einer zurück.
Das Stillen ist für mich ein Tanz. Zwei gucken sich an, vertrauen sich blind, lassen sich fallen und lassen sich führen, nehmen einander an die Hand und fangen einander auf. Die Welt um sie herum scheinen sie für diesen Moment zu vergessen: es gibt nur die beiden. Zwei, die zu einem verschmelzen.
Heute möchte ich von unserer Stillbeziehung erzählen.
Auf meinem Instagram-Kanal könnt ihr uns hin und wieder dabei beobachten. Stillen klappt, stillen klappt nicht. Stillen klappt, stillen klappt nicht.
Ein Schritt vor, zwei zur Seite, einer zurück.
Wie simpel diese Bewegung klingt. Und doch: Anfangs nichts als Verwirrung. Das Tempo ist nicht klar, genauso wenig wie die Richtung, in welche der erste Schritt gehen soll. Weil der Takt sich nicht heraushören lässt, wenn alles andere drumherum genauso laut ertönt. Weil die Unsicherheit dazu führt, dass man einander auf die Füße tritt.
Die Leere ist nicht das einzige was mir bleibt, als man mir mein Baby nimmt. Sehnsucht, Traurigkeit und Angst gesellen sich zu dem Summen der Pumpe dazu. Erst kleine Spritzen um noch kleinere Tropfen aufzufangen. Spritzen und Tropfen werden größer, kleine Becher, kleine Flaschen und große Flaschen lösen einander ab. Wochen vergehen, die Pumpe und ich tanzen uns ein, ich fühle mich bereit für den großen Auftritt.
Ein Schritt vor, zwei zur Seite, einer zurück
Die Tanzfläche wird für uns frei gemacht, es ist Zeit für unseren Tanz.
Begleitet werden wir von diversen Trainern, Coaches, ehemaligen Profitänzern; allesamt preisgekrönte Meister ihres Faches. Jeder von ihnen mit einem besonderen, unschlagbaren Tipp der unentwegt zum Erfolg führen soll.
Wir strampeln und strampeln, doch von der Stelle kommen wir nicht.
Jede Stillmahlzeit ein Abenteuer.
Für den Kleinen, der für das Saugen noch nicht stark genug ist. Für mich, die für den Umgang mit den Schmerzen und hohen Erwartungen noch nicht stark genug ist.
Erwartungsfroh stehen sie beim Stillen um uns herum, kommentieren jede Saugbewegung mit hmm-hmms und entwickeln immer neue Ideen, wie es besser klappen könnte. Stillposition ändern. Zungenbändchen durchschneiden. Stillhütchen anlegen. Brusternährungsset umhängen. Osteopath, Kinderarzt, Physiotherapeut aufsuchen. Bachblüten, warme Umschläge, Podcasts. Andere Sauger auf die Flasche nehmen. Flasche verweigern. Vor allem: entspannt bleiben.
Ein Schritt vor, zwei zur Seite, einer zurück. Ich halte inne. Mache mir bewusst, wer über Tempo und Lautstärke entscheidet. Ich höre genau hin: die Musik wird leiser, das Stück langsamer.
Ich gebe uns die Zeit, die wir brauchen.
Die Zeit die wir brauchen, um aus dem Krankenhaus nach Hause zu kommen. Die Zeit die wir brauchen, um einander näher zu sein. Dei Zeit die wir brauchen, um ganz frei tanzen zu können. Denn trotz Pumpe und Flasche hören wir zu keiner Zeit auf, uns zu bewegen – auch wenn andere Mühe haben, unser ganz eigenes Tempo zu verstehen.
Stillen klappt, stillen klappt nicht – zu Hause tanzen wir unbeholfen zu unserem Lied. Die ersten Zuschauer verlassen den Raum, die Coaches geben uns auf, unsere Füße schmerzen, wir sind müde. Und doch hält uns nichts davon ab, weiter an unserem Stück zu arbeiten. Wir ändern das Tempo, drehen an den Reglern, spulen vor und zurück. Verlieren weder Hoffnung noch Mut.
Wir tanzen, jeden Tag ein bisschen mehr.
Es ist ein langer Weg. Mein Baby wird nicht satt, mein Herz wird nicht satt. Und doch geben wir nicht auf. Wir lassen uns aufeinander ein, jeder in seinem Tempo, jeden Tag ein bisschen mehr. Von Mal zu Mal brauchen wir ein bisschen weniger von der Flasche, von Mal zu Mal zweifeln wir weniger aneinander. Wir werden mutiger und trauen uns das Haus zu verlassen. 10 Schritte, stillen, 10 Schritte, stillen, 10 Schritte, stillen. Hinterher gibt es die Flasche. Keine Enttäuschung, keine unerfüllten Erwartungen. Wir lachen uns an, zucken mit den Schultern, holen tief Luft setzen zu einem neuen Tanz an.
Ein Schritt vor, zwei zur Seite, einer zurück.
Wir tanzen gemeinsam, zu unserem ganz eigenem Lied.