Das Leben ist bunt! Ich freue mich mit euch: ein neuer Beitrag meiner Reihe „Regenbogenfamilien erzählen“ ist bereit, von euch gelesen und geherzt zu werden ❤️
Ein unglaublich spannendes Thema: Wie geht es Kindern von gleichgeschlechtlichen Eltern? Zu dieser Frage gibt uns heute Samira aus Oldenburg Antworten: hier ein Einblick in ihr Leben unter dem Regenbogen! Vielen lieben Dank für deine offenen Worte und euch allen viel Spaß beim Lesen.
Ich bin in einer kleinen Stadt am Jadebusen aufgewachsen. Reihenendhaus in einer Spielstraße. Mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester (zwei Jahre jünger als ich). Meine Kindheit ist mir mit viel Liebe und Geborgenheit in Erinnerung geblieben.
Eine lesbische Mama – hast du geahnt, wie sich deine Familiensituation verändern sollte?
Und doch gab es da schon recht früh in meinem Leben Anzeichen, dass unsere Familie und unsere Eltern anders sind, als Eltern von Freunden. Da gab es irgendwann (ich glaube, ich war 10 oder 11) getrennte Schlafzimmer, keine Umarmungen oder Küsse zwischen unseren Eltern, Streit, der vor uns versucht wurde geheimzuhalten, Gespräche, die plötzlich endeten, als wir in den Raum kamen, Tränen, weniger gemeinsame Aktivitäten. Es fühlte sich an, als ob eine bleiernde Schwere über uns allen lag. Ich habe oft gedacht, dass es an mir liegt. Ich eine Last war. Mit sieben Jahre wurde ich krank. Es hat lange gedauert, bis herausgefunden wurde, was mir fehlt. Eine schwere Lebensmittelallergie. Vieles habe ich nicht mehr vertragen. Immer wieder Erbrechen. Ich wurde dünn, blass, ängstlich. Ohne meine Mama ging nichts mehr. Trennungsängste. Ob ich schon damals spürte, dass etwas nicht stimmt? Ich glaube ja! Meine Allergien verschwanden fast vollständig am Ende der Pubertät. Fast zeitgleich zu Mamas Outing.
Plötzlich unter dem Regenbogen – wie empfandest du den Moment des Outings deiner Mama?
Und dann kam er, der Tag, an dem sich das Leben für uns alle ändern sollte. Ich bin gerade 17 Jahre alt geworden. Es war Wochenende und in unserem alten Kino in der Stadt wollte ich mit meinem damaligen Freund einen Film schauen, war gerade dabei mich fertigzumachen. Ich hörte meine Eltern reden. Mama weinte, bat Papa nichts zu sagen und er tat es doch. Machte sich Luft. Nach Jahren des Schweigens: „Deine Mutter hat die Ehe zerstört. Sie hat mich und alle betrogen!“ Mir klingelten die Ohren, meine Beine weich. Mama saß in ihrem Zimmer, guckte mich an: „Es ist nicht so wie du denkst. Ich liebe eine Frau!“ Ich schaute sie an und weinte. So viele Emotionen prasseten auf mich ein. Dann nahm ich sie in den Arm und fühlte etwas, womit ich niemals gerechnet hatte: Ich fühlte mich erleichtert. Als ob sie eine Last von mir nahm. Danach verschwimmen die Tage und die Erinnerungen. Meine Schwester, damals 15 Jahre alt, die nur Wut und Trauer empfand und ihren Papa niemals alleine lassen wollte. Papa, der in seiner Trauer, um seine große Liebe wie betäubt war. Er wusste schon viele Jahre, dass Mama Frauen liebt und ist geblieben mit der Hoffnung, dass Mama niemals diese eine Frau kennenlernen wird und doch passierte es. Unsere Familie zerbrach. Ich habe es nicht viel zu Hause ausgehalten, war bei meinen Freundinnen oder der Familie meines damaligen Freundes. Wurde dort aufgefangen und konnte mich zurückziehen, Gedanken sortieren oder einfach nur weinen. Dafür bin ich ihnen einfach dankbar. Kraft tanken, für das, was kommen sollte. Ich bin mit Mama ausgezogen. Eingezogen in ein neues Leben. Gemeinsam mit Mamas Frau und meiner Stiefschwester, aber ohne meine Schwester. Emotional waren meine Schwester und ich wahnsinnig weit auseinander. Konnten uns gegenseitig nicht verstehen. Reagierten komplett verschieden auf das neue Leben. Nach einigen Monaten zog sie aber doch zu uns und langsam, ganz langsam wurden wir zwei wieder zu Schwestern, zwischen die kein Blatt passt.
Wie hast du die Trennung empfunden?
Ich habe sehr schnell entschieden, wohin ich mitgehen werde. Aber innerlich gab es noch Jahre Kämpfe mit mir selbst. Habe ich Papa verraten? Habe ich ihn alleine gelassen? Wir haben uns gegenseitig Vorwürfe gemacht, uns verbal und emotional weh getan und doch irgendwann wieder gute Gespräche geführt.
Wie sind deine Freunde und der Rest der Familie damit umgegangen, als du dich mit ihnen über die Entscheidung der Mutter unterhalten hast?
Unser neues Zuhause wurde zum zentralen Treffpunkt für meine Freunde und mich. Hier wurde mit Mama und ihrer Frau gemeinsam gelacht, gekocht, gegessen, Spiele gespielt, geredet. Bei wem treffen wir uns zum Vorglühen vor der Party? Klar, bei uns! Ich glaube, es lag daran, dass alle spürten, wie offen und vorurteilsfrei hier gelebt wird. Auch für die Familie war es so. Mamas Eltern liebten ihre Tochter genauso weiter wie vorher und verstanden jetzt auch Vieles, was vorher an ihrer Tochter anders wirkte. Jeden Samstag standen sie pünktlich zum Frühstück mit frischen Brötchen vor der Tür. Fragten vorher, wie viele Freunde von uns denn noch da wären. Diese Samstage sind etwas, was ich für immer in meinem Herzen tragen werde. Niemand schloss Mama und ihre Frau aus. Bloß Papas Familie hatte/hat das alles nicht so leicht hinnehmen können.
Wie hat euer Kennenlernen stattgefunden?
Ich war sofort neugierig, wer denn diese Frau ist, die Mama so den Kopf verdreht hat. Die es geschafft hat, Mama den Mut zu schenken, ihr Leben komplett umzukrempeln mit allen Höhen und Tiefen, die da kommen sollten. Das erste Treffen war aufregend. Ich wusste gar nicht, was mich erwartet. Wir trafen uns bei Mamas Frau. Dort lebte sie mit ihrer damaligen Frau. Alles war noch geheim. Auch hier sollte sich ein ganzes Leben ändern. Ich fühlte mich sofort wohl. Woran es lag, kann ich nicht mehr sagen. War es das neue Strahlen in Mamas Augen? War es die Art von Mamas Frau? War es das Gefühl in mir, dass sich jetzt auch für mich Vieles zum Guten ändern wird? Mama endlich zu sehen, wie sie wirklich ist und wen sie liebt? Bestimmt eine Mischung aus allem.
Mamas Frau ist für uns alle nicht mehr wegzudenken. Es fühlt sich an, als ob sie schon immer da ist. Und irgendwie ist das auch so. Ich bin jetzt 30. 13 Jahre gibt es sie in Mamas Leben und somit in unserem.
Hast du Tipps für andere Kinder aus Regenbogenfamilien, die in einer ähnlichen Situation sind? Und was würdest du Eltern sagen, die vor dieser schwierigen Entscheidung stehen, sich vor den Kindern / vor den Ehepartnern zu outen?
Für mich bewirkte Mamas Outing sehr viel. Ich wurde von der bleiernden Schwere über unserer Familie befreit. Ich wurde selbstbewusster, lernte, dass es egal ist, was andere denken oder wie andere ihr Leben leben. Es ist wichtig, dass man auf sein Herz hört und auf das, was einem selbst gut tut. Dazu stehen, wer man selbst ist. Stark sein, auch wenn man Gegenwind spürt.
Ob ich einen Rat habe? Traut euch! Seid mutig! Steht zu euren Gefühle und versucht nicht, diese zu unterdrücken! Kinder fühlen, wenn etwas nicht stimmt. Und das wichtigste bei alle dem ist Zeit. Lasst euch Zeit zum Traurig sein, zum Wütend sein, zum Durcheinander sein. Schreit, weint, liebt und redet. Seid füreinander da, auch wenn das mal heißt, auf Abstand zu gehen. Gebt dem neuen Leben Raum zum Wachsen. Und am Ende ist es völlig egal, wer wen liebt. Hauptsache ihr könnt lieben und werdet geliebt. Das zeigen mir meine zwei Töchter jedes Mal, wenn sie ihre Omas (sorry Sille ) sehen. Diese Normalität, Unbefangeheit und bedingungslose Liebe wünschen ich allen!
Wollt ihr auch mitmachen?
Ich freue mich immer über neue Familien (auch welche in spe), die mitmachen möchten. Und ein offenes Ohr für eure Fragen habe ich auch noch – falls ihr schon immer etwas über das Thema wissen wolltet, her damit!
Hier könnt ihr mich kontaktieren – ich freue mich von euch zu hören.