Hundert.
Das möchte ich mir auf der Zunge zergehen lassen: seit hundert Tagen leben wir unseren Traum.
„Der Kleine hat Bauchschmerzen, er liegt schon die ganze Nacht auf meinem Bauch.“
„Ok, dann nehme ich ihn jetzt zum Stillen mit, kannst du ihn vorher wickeln?“
„Der Große ist wach geworden, ich gehe rüber, kannst du auf den Kleinen hören?“
„Aufwachen mein Schatz, das Frühstück ist fertig!“
„Was möchtest du auf dein Brot haben, ich schmiere dir eines während du stillst.“
„Ich kümmere mich um das Mittagessen. Gehst du in der Zeit mit Emmy? Nimmst du den Großen mit? Und gibst diesen Brief bei der Post ab? Und kaufst ein bisschen was ein?“
„Ich putze schon mal seine Zähne. Warum ist die Waschmaschine so laut? Ist sie kaputt?“
„Ich setze mich gleich zu dir aufs Sofa, ich räume nur kurz vorher das hier auf“
„Wach auf Schatz, lege dich besser gleich ins Bett“
Tag ein Tag aus wachen wir Seite an Seite auf um das zu leben, wovon wir seit jeher geträumt haben: das Familienleben.
Wir spielen uns die Bälle zu, unsere Handgriffe werden immer sicherer, wir immer eingespielter, mit jedem Tag fühlen wir uns reicher, es genauso erleben zu dürfen, wie wir es uns gewünscht haben. Mit jedem Tag sind wir ein Stück glücklicher, dass die Anfangszeit voller Ängste und Sorgen einen weiteren Tag zurückliegt. Und somit einen Tag weiter weg von uns.
Tag ein Tag aus teilen wir alles miteinander: unsere Tränen. Unsere Erschöpfung. Unsere Wut. Unsere Unsicherheiten. Unsere Kraft. Unsere Stärke. Das Beste in uns: unsere Liebe.
Hunderteins.
Ich stehe an der Tür, ein Baby auf dem Arm, ein Kind an den Beinen und tue so, als würde mir der Abschied leicht fallen. Ich winke und verabschiede meine Frau. Ich winke und begrüße die Wehmut. Abenteuer Elternzeit, so plötzlich vorbei wie es angefangen hat.
Doch da ist mehr als nur die Traurigkeit darüber, dass diese unglaublich intensive Zeit endlich ist. Da ist noch etwas, über das kaum einer spricht. Da ist die Angst vor etwas, was so vertraut wie selbstverständlich sein sollte: Der Alltag.
Wie soll ich es schaffen? Wie macht man das? Wie soll es funktionieren? Wie geht das alleine? Wie kann ich all dem gerecht werden? Dem Großen, dem Kleinen, dem Hund, dem Haushalt? Wie kann ich allen gleichermaßen gut gerecht werden? Und vor allem: mir und meinen Ansprüchen gerecht werden?
Was mache ich mit dem Großen während ich den Kleinen stille? Was mache ich mit dem Kleinen während ich mit dem Großen spiele? Wie mache ich das mit dem Kochen während ich mit dem Hund spaziere?
Wie gehe ich mit diesem Gefühl um, mich aufteilen zu wollen, alles gleich gut machen zu wollen? Es fühlt sich fremd an, es fühlt sich groß an, es fühlt sich fast zu groß an.
Hinein ins Abenteuer.
Dabei hatten wir alle Zeit der Welt, um es von den Kleinen zu lernen. Hundert Tage, um ganz genau zu sein. Hundert Tage, in denen sie uns so vieles beigebracht haben. Mutig sein. Tapfer sein. Furchtlos sein. Nicht denken, nicht zweifeln, einfach machen, einfach schaffen. Sich in dieses Abenteuer stürzen, das man Familienleben nennt. Mit erhobenem Haupt, geradem Rücken und Beinen, die fest auf dem Boden stehen.
Es wird Zeit für ein neues Abenteuer, für ein neues Kapitel voller leerer Seiten, die in den buntesten Farben ausgemalt werden wollen.
Es wird Zeit für die selbstverständliche Zuversicht, mit der die Kleinen durch das Leben schreiten. Die Sicherheit, dass es genau so richtig ist, wie es ist.
Es wird Zeit. Ohne den Hauch eines Zweifels. Es wird unsere Zeit.