Achtundzwanzig Prozent
Mein Laptop hat noch ganz schön viel Akku, wenn man bedenkt, dass ich ihn vor einer Woche das letzte Mal aufgeladen habe. Ich wundere mich etwas, denn ich weiß ehrlich gesagt nicht, wann mir so etwas zum letzten Mal gelungen ist. Es muss damals gewesen sein, als ich noch keinen hatte.
Ich komme nach Hause, räume die Sachen ein, schmeiße eine Wäsche an und möchte nur kurz den Laptop aufklappen, es ist so verdammt viel liegen geblieben in der letzten Zeit. Nur eine Kleinigkeit erledigen, sie ist so dringend und ich könnte sie ganz schnell… Woooooom. Die Tabs gehen in Sekundenbruchteilen auf und zu. Kurz die Preise für die Mitgliedschaft bei Weight Watchers nachschauen, hier eine Nachtlampe bestellen, huch, zu schnell geklickt, was war denn das für eine schöne Thermoskanne? Eigentlich braucht der Große einen neuen Koffer, dieses Tutorial über die neue Kamera möchte ich unbedingt lesen, noch schnell eine Nachricht beantworten. Was wollte ich eigentlich tun?
Ach was, ein animiertes Gif im Newsletter, warum ist dieses Produkt jetzt um 50% reduziert, schade dass es morgen regnet, ist meine Rücksendung bei dem einen Shop schon bearbeitet? So ein YouTube Video würde ich auch gerne mal drehen, ein ähnliches Regal habe ich letztens bei Kleinanzeigen entdeckt, gibt es eigentlich eine Alternative zu Weight Watchers? Ich denke erst mal darüber nach, bevor ich mich anmelde. Oder die Nachtlampe bestelle. Oder die Kanne, den Koffer und überhaupt die Nachricht schreibe ich lieber in Ruhe, vielleicht schaffe ich es morgen.
Zwölf Prozent
Die Kleinigkeit? Egal wie sehr ich mich anstrenge, mir fällt partout nicht ein, warum ich eigentlich noch an den Laptop wollte. Dafür fällt mir etwas anderes auf: die Zeit vergeht, tausend Sachen gehen mir durch den Kopf, es fühlt sich an als würden die Gedanken explodieren, ich klicke und klicke und klicke und geschafft habe ich am Ende: nichts. Die Leere ist so groß dass ich sie förmlich spüren kann, ich ärgere mich dass ich meine Zeit verschwendet habe.
Höher, schneller, weiter. Immer mehr von uns erkennen, dass wir etwas ändern müssen. Und immer mehr erkennen darin ein Potenzial, unsere Sehnsüchte zu Klicks zu machen. Wohin man auch blickt: Aufräum-, Ausmist- und Abnehm-Challenges suggerieren uns, dass wir alles schaffen können, wenn wir uns nur ein bisschen anstrengen. Mein persönlicher Favorit: die Achtsamkeits-Challenge.
Achtsamkeit. Challenge. Das muss man sich doch mal auf der Zunge zergehen lassen.
Die arme Achtsamkeit, die uns eigentlich dabei helfen soll, uns besser und leichter zu fühlen, uns mehr zu spüren, näher bei uns selbst zu sein. Als Challenge. Damit wir uns selbst schlagen können. Denn das können wir ja, wenn wir uns nur ein bisschen anstrengen: Das Handy weglegen, gesünder essen, uns mehr bewegen, Auszeiten im Alltag einbauen, meditieren.
Sieben Prozent
Doch wie wäre es, wenn wir uns ein bisschen weniger anstrengen und nicht ständig nach den Hindernissen gucken, die womöglich gar nicht da sind? Wenn wir das Handy in die Hand nehmen und unsere Lieben anrufen? Wenn wir Miracoli essen damit wir länger in der Natur sein können? Wenn wir länger wachbleiben und miteinander reden?
Mehr Durchatmen, weniger Durchhalten: Dieses neue Jahr wartet nur darauf, erlebt zu werden. Und ich freue mich drauf. Mit tiefen Augenringen weil es doch noch spät geworden ist. Mit der Neugierde, wohin meine Entscheidungen mich führen werden. Mit der Hoffnung, diesen Weg nicht alleine zu laufen.